Gut ein Jahr nach dem Anschluss (je nach juristischer Auslegung der Annexion) der Krim wird der neue de-facto-Status der Halbinsel zunehmend zur Normalität. Westliche Diplomaten, Beamte und Politiker mögen noch Jahrzehnte damit verbringen, die aus Sicht ihrer Länder illegale Aneignung oder gar Okkupation der Halbinsel durch die Russische Föderation zu monieren – die Wirtschaft hat so viel Zeit nicht.
Die gestern bekannt gewordene Unterzeichnung eines Liefervertrags für Gasturbinen auf die Krim durch die mehrheitlich zum deutschen Siemens-Konzern gehörende St. Petersburger Siemens Gas Turbines Technologies (SGTT) lässt erkennen, welche Konflikte auch in den staatsnahen westlichen Konzernen inzwischen entbrannt sind.
Primat der Politik?
Im Hause Siemens gibt es viele, die den Primat der Politik uneingeschränkt anerkennen. Diese Gruppe ist der festen Überzeugung, die westliche Politik und die westlichen Unternehmen müssten um des Prinzips willen auf der Einhaltung der weltweit oder zumindest in Europa geltenden Regeln des Zusammenlebens der Staaten – so wie der Westen sie versteht – beharren. Nicht umsonst war es das deutsche Musterunternehmen Siemens, dessen Vorstände demonstrativ die Teilnahme am Internationalen Weltwirtschaftsgipfel in St. Petersburg im vergangenen Monat verweigerten.
Doch nicht alle Siemensianer sehen das so. Die einen, weil sie meinen, der Westen überschätze schon heute seine Kraft. Dann gibt es jene, die die verlorenen Aufträge zählen, etwa die Beteiligung an der Hochgeschwindigkeitsstrecke Moskau-Kasan-Jekaterinburg oder Lieferungen an die Moskauer Untergrundbahn, die sogenannte Metro. Das sind nur Beispiele, doch jedes davon hinterlässt im Auftragseingang eine hässliche Null.
In dem genannten Petersburger Gemeinschaftsunternehmen gibt es zudem einen russischen Partner, Silowije Maschiny, der wenig Neigung verspürt, satte Aufträge fahren zu lassen, weil Siemens sich in politischer Grundsatztreue gefällt. Mehr noch: Silowije Maschine steht selbst unter politischen Druck, allerdings aus Richtung Kreml. SGTT ist das einzige lokale Unternehmen, das in der Lage ist, diese Turbinen herzustellen. Und ohne Silowije Maschiny steht das Siemens-Engagement in der Petersburger Gasturbinenfabrik auf Treibsand.
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